Ich hatte einen Traum: Mit meiner Frau nach Neuseeland fliegen, dort ein Segelboot kaufen und mit diesem dann nach Norden segeln. Fiji, Tonga, Samoa.
Zwei Wochen mit halbem Wind über den Südpazifik. Tag und Nacht durchsegeln. Nachts unter dem unglaublich klaren Sternenhimmel, in kurzer Hose, ohne eine andere Menschenseele zu sehen. Tagsüber bequem an Deck liegen, die ganzen Bücher lesen, die auf meiner Liste stehen, oder einfach nur den Blick aufs endlose Meer genießen, die frische Luft riechen, das Salz schmecken, der warme Wind auf der Haut. Zwischendurch fliegende Fische und Wale sehen.
Nach zwei Wochen relaxt in Tonga ankommen, in einer wunderschönen Bucht ankern und uns dann von Wind und Meer durch die Inselwelt treiben lassen. Monatelang. Vielleicht jahrelang.
Die einschränkenden Glaubensätze
Das war ein schöner Traum, schön weit in der Zukunft.
Und es gab dafür erst einige Voraussetzungen, die ich mir zurecht gelegt hatte:
- die Kinder müssen aus dem Haus sein
- es muss der Südpazifik sein, nicht der Atlantik oder der Indische Ozean
- mit meinem eigenes Segelboot sein
- es muss jahrelang sein – richtig aussteigen
- ich will das mit meiner Frau zusammen machen – die ein eigenes Unternehmen hat und deswegen gerade nicht so flexibel mal ein paar Jahre aussteigen kann.
Alles schöne Gründe, das vor mir herzuschieben.
Der Aha-Moment – der Atlantik als Option
Marcel – ein guter Freund – fragt mich eines Tages, ob ich mit ihm über den Atlantik segeln wolle. Was für eine Frage – das ist weder Südpazifik, noch jahrelang, dafür ohne meine Frau und ein geeignetes Segelboot habe ich auch nicht. Ich verwerfe den Gedanken.
Mit der Zeit wird mir klar, warum ich das eigentlich machen möchte, dieses lange Segeln. Es geht mir eigentlich nicht um den Südpazifik oder Atlantik, es geht nicht um das eigene Boot und das jahrelange segeln. Ich möchte die Erfahrung machen, längere Zeit in eine Richtung zu segeln – Tag und Nacht, in die Dämmerung hinein, unter sternenklarem Himmel durch die warme Nacht, den Sonnenaufgang erleben, ohne dabei Land zu sehen.
Und damit wird die Atlantiküberquerung eine Option. Ich kann das als Check nehmen für meine große Pazifikreise in weiter Ferne.
Die beste Zeit ist November und Dezember, wenn die Hurrican-Saison auf dem Atlantik zu Ende ist. Die beste Route ist Teil der sogenannten Barfuss-Route von den kanarischen Inseln, wahlweise mit einem Stop auf den Kapverden, über den Atlantik in die Karibik. St. Lucia. Das ganze dauert ca. 3 – 4 Wochen. Immer auf See, immer Seegang, immer warm, kein Land in Sicht.
Marcel, lass uns das machen – Atlantiküberquerung im November.
Die Vorbereitungen für den Atlantik
Fehlt nur noch das Boot und evtl. weitere Crew. Seit mir klar war, dass es nicht mein eigenes Boot sein musste wurde die Sache auf viel, viel einfacher. Und viel günstiger.
Über eine Platform im Internet fand ich Harald, einen norwegischen Aussteiger, der für den November seine Atlantiküberquerung mit eigenem Boot im Rahmen der Atlantic Rally for Cruisers plant und dafür noch zwei Mitsegler sucht.
Marcel und ich treffen Harald in Barcelona, gehen zusammen Mittagessen, begutachten uns gegenseitig und das Boot und können uns alle vorstellen die Atlantiküberquerung gemeinsam zu machen. Harald wird den Sommer über durchs Mittelmeer fahren mit Chartergästen ein wenig Geld verdienen und dabei das Boot Schritt für Schritt für die große Fahrt vorbereiten und ausrüsten.
Der Probetörn
Der nächste Schritt ist ein gemeinsamer Törn im Mittelmeer. Haralds Idee ist es von Sizilien nach Athen zu fahren. Das sind ca. 420 sm, also ungefähr ein Fünftel der Atlantikstrecke. Ein guter Test für Boot und Crew.
Passen wir zusammen? Können überhaupt alle segeln an Bord?
Ich habe alle formalen Qualifikationen, die ich in Deutschland für das Sportsegeln erwerben kann und alles was ich brauche:
- Sporthochseeschifferschein, inkl. internationalem Seerecht, Großkreis- und Astronavigation
- Long Range Certificate für Funk auf großer Fahrt
- Fachkundenachweis nach dem Sprengstoffrecht für Seenotsignalmittel
Nur eins habe ich noch nicht: die Erfahrung mehrere Tage durchzusegeln. Fern von Land und Hafen.
Sizilien nach Athen
Wir treffen uns in der Nähe von Catania. Marcel und ich, Harald und drei andere Segler. Paul und Harrold aus den Niederlanden, Peter aus Belgien. Mit Harald aus Norwegen und Marcel und mir aus Deutschland eine ganz schön internationale Crew.
Bootssprache ist Englisch. Außer wenn der Co-Skipper Paul in wichtigen Situationen wie Anker- oder Hafenmanöver auf Holländisch wechselt.
Wir nutzen den Samstagvormittag zum Einkaufen. Obst und Gemüse, Salat und Käse. Harald sucht alle Läden nach Gazpacho im Tetrapak ab. Erfolglos – Sizilien ist nicht Spanien.
Samstag mittag geht es los. Erste Etappe bis zum Kanal von Korinth, ca. 350 sm. Skipper Harald setzt ein 5h / 10h – Wachensystem ein. Jeweils zwei haben fünf Stunden Wache, dann zehn Stunden Pause. Da wir drei Kabinen mit Zweier-Besetzung haben, hat somit jeder immer wieder fünf Stunden die Kabine für sich alleine.
Meine erste Wache von 17-22 Uhr, dann 08-13 Uhr, dann 23-04 Uhr, dann 14-19 Uhr, dann 05-10 Uhr. Durch den 15 Stunden Rhythmus verschieben sich die Wachen laufend.
Es ist wunderschön, in den Abend zusegeln, die Sonne im Heckwasser untergehen zu sehen, die Sterne funkeln zu sehen, die frische Luft.
Zwischendurch begleiten uns Delfine.
Ich werde mürbe
Der Seegang ist nicht wirklich schlimm, dennoch schlafe ich kaum, und wenn dann nicht erholsam. Es stellt sich kein wirklicher Rhythmus für mich ein. Auch das Essen fällt meistens aus. Mir ist immer fast schlecht, ich habe Kopfschmerzen und jede Aktivität erfordert ungemeine Anstrengung.
Normalerweise bin ich immer der Macher, voller Energie und Tatendrang. Jetzt bin ich froh, wenn Harrold mir bei unseren gemeinsamen Wachen einen Keks oder eine Banane hochreicht.
Wikipedia beschreibt ein Symptom der Depression, „… die Antriebshemmung. Bei einer schweren depressiven Episode können Betroffene in ihrem Antrieb so stark gehemmt sein, dass sie auch einfachste Tätigkeiten wie Körperpflege, Einkaufen oder Abwaschen nicht mehr verrichten können.“
Genauso fühlt sich das an. Einfachste Tätigkeiten, Kekse holen, Kaffee machen, mich waschen, Zähneputzen oder einfach nur die Bordtoilette benutzen werden zur Herausforderung.
Auf der einen Seite beobachte ich meine psychischen und physischen Reaktionen mit Erstaunen und Interesse, auf der anderen Seite wird mir immer klarer, dass das auf dem Atlantik genauso sein wird. Der Seegang wird eher stärker sein und die gesamte Fahrzeit wohl 5-10 mal so lange.
Bereits an Tag 2 ist die Spüle ein einziges Chaos, regelmäßige Mahlzeiten sind Fehlanzeige und die ersten Salate und das erste Obst sind vergammelt.
Die anderen Mitsegler sehe ich kaum, wenn dann nur zwischen den Wachen oder mal untertags.
Mir wird klar, dass ich das nicht will. Außerdem ist es langweilig. Der Wind kommt immer aus der selben Richtung. Die Segel werden nur alle paar Stunden mal nachgetrimmt. Und selbst dafür brauche ich Überwindung. Ich denke so Sachen wie „das lohnt sich nicht, der Wind dreht bestimmt irgendwann wieder zurück“ oder „lass das mal die nächste Wache machen.“
Meine Entscheidung gegen den Atlantik
Während einer Freiwache entscheide ich mich gegen den Atlantik. Ich liege in meiner Koje, es geht mit den Wellen auf und ab, und mir wird die Eintönigkeit der Reise bewusst.
Sobald wir bei Zakynthos wieder Land sehen, geschützte Gewässer befahren und ein Ankerplatz absehbar ist blühe ich wieder auf. Hinter dem Kanal von Korinth in Korfo legen wir abends direkt an einer Taverne an, steigen von Bord, bestellen Essen. Es geht mir wieder gut.
Ich vergleiche diesen Törn mit dem letzten Urlaubstörn in Kroatien. Drei Freunde, jeden Abend gemütlich in einem schnuckeligen Hafen oder einer einsamen Ankerbucht. Gemeinsames Abendessen, gemeinsames Frühstück und dann einen Tagestrip zum nächsten schönen Ort.
Für mich darf das Leben leicht sein, entspannt und angenehm. Ich bin mir jetzt sicher dass ich in das lange Segeln eine Romantik projiziert habe, die es für mich nicht hat. Ich bin froh, dass ich das ausprobiert habe und hier beenden kann.
Der Realitäts-Check
Mein Ziel war toll. Nach allen Regeln der Kunst visualisiert und ausgemalt. Ich habe es mit allen Sinnen erlebt.
- Visuell – die Sonne, das Wasser, die Wale
- Auditiv – das Rauschen des Wassers, der Wind, das Knarzen des Bootes
- Kinästhetisch – die Bewegung der Wellen, die Wärme, der Wind
- Olfaktorisch – das Meer, die frische Luft
- Gustatorisch – das Salz, frisches Obst
Den Realitäts-Check hat es allerdings nicht überlebt. Es war realistisch, das schon. Es war nur in meiner Welt keine positive Realität.
- Wie ist das wirklich, wenn ich da bin?
- Dann bin ich auf dem Boot und was mache ich dann?
Ich bin froh, das genau so gemacht zu haben. Ich bin froh diese Erfahrung für mich gemacht zu haben.
Und ich finde ein neues Ziel!
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Christian Kohlhof ist der MentorCoach. Sein Purpose ist es Unternehmern zu helfen mit ihren schnell wachsenden Unternehmen ihre Ziele zu erreichen – mit Hilfe ihrer Mitarbeiter.